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Stetiger Aufschwung und Ende der Schule

Unter dem Direktorat  von Prof. Dr. Wilhelm Lorey begann 1912 die letzte „normale“ Entwicklungsetappe der Schule, bevor politische und ideologische Einflüsse die Oberhand gewannen. Diese Periode zeichnete sich (nach Überwindung einiger negativer Folgen des 1. Weltkrieges) durch steigende Schülerzahlen, einen deutlichen Ausbau des Lehrkörpers und einige Strukturveränderungen aus und kulminierte in der Hundertjahrfeier der ÖHLA im Jahre 1931, die aufgrund der Folgen der Wirtschaftskrise in bescheidener Form mit einem Festakt im „Capitol“ und einer Festschrift begangen wurde.

Einen frühen Beitrag zur Begabtenförderung leistete die ÖHLA durch die Eröffnung eines Kurses zur Fortbildung tüchtiger Lehrlinge im Jahre 1913, der den Übergang in die erste Klasse der Höheren Abteilung ermöglichte.

Die Klassen der ÖHLA unternahmen nunmehr wesentlich mehr Studienreisen in Industriegebiete, auch nach England und Frankreich. In jedem Jahr fuhren Stipendiaten in das Deutsche Museum nach München. Die Entlassungsfeiern der abgehenden Schüler fanden im stimmungsvollen Saal des Städtischen Kaufhauses statt. In der Höheren Abteilung hielten dabei stets Abiturienten wissenschaftliche Kurzreferate zu wirtschaftlichen und humanwissenschaftlichen Themen. Bis zum 1. Weltkrieg waren es immer drei Referenten, darunter jeweils ein ausländischer Absolvent. Auch diese bemerkenswerte Praxis zeugt von der an der Schule herrschenden inspirierenden Atmosphäre, an die sich viele ehemalige Schüler vor allem anderen erinnerten.

Die Industrie- und Handelskammer finanzierte die Schule bis 1923 allein. Infolge der Inflation wurde dann festgelegt, dass die Personalkosten der ÖHLA zu je einem Drittel vom Staat, der Stadt und der Kammer getragen werden. Diese Regel galt bis 1945. Ab 1946 wurde die Schule ganz von der Stadt übernommen.

Im Jahre 1925 wurde die Schule in „Öffentliche Höhere Handelslehranstalt mit Lehrlingsabteilung zu Leipzig“ umbenannt. Dies hing mit der 1926 erfolgten letzten wichtigen Strukturreform, der Gründung der Wirtschaftsoberschule, zusammen. Diese voll ausgebaute Oberschule führte zur Reifeprüfung und gestattete den direkten Übergang zur Handelshochschule oder Universität. Die Wirtschafts-oberschule avancierte ab 1941 zum Namensgeber für die gesamte Einrichtung, die nunmehr „Wirtschaftsoberschule Leipzig der Industrie- und Handelskammer Leipzig (Berufsfachschule mit Berufsschule)“ hieß.

Zusammen mit einigen weiteren kleineren Veränderungen hatte die ÖHLA 110 Jahre nach ihrer Gründung eine ausgereifte und zukunftsträchtige Struktur erreicht. Ihre Bestandteile waren: Wirtschaftsoberschule (8 Jahre), Höher Handelsschule (4 Jahre), Höherer Wirtschaftskurs (1 Jahr), Handelsvollschule (2 Jahre), Lehrlingsfachkurs (1 Jahr), Lehrlingsabteilung (3 Jahre). Nach dem Ausscheiden Loreys übernahm 1932 zunächst Dr. Paul Prater die kommissarische Leitung der Schule, bevor 1934 Dr. Otto Günzel als Oberstudiendirektor berufen wurde.

Die nationalsozialistische Machtergreifung und die Auswirkungen des von diesem System angezettelten 2. Weltkrieges wurden dann zum Anfang vom Ende der Schule. Zwar wurde der Unterricht weiter in der bewährten hohen Qualität erteilt, der fachliche Inhalt stand in den meisten Lehrgebieten absolut im Vordergrund. Dogmatische ideologische Einflüsse waren in der Ausbildung kaum zu spüren. Das garantierten die allermeisten Lehrer, die ja noch stark von der alten ÖHLA geprägt waren. Die angenehme fachlich-musische Atmosphäre blieb weitgehend erhalten und die enge Zusammenarbeit mit der Handelshochschule wurde fortgesetzt. Dennoch wurde der wachsende Einfluss des Nazisystems wurde dennoch immer spürbarer. Einige Lehrkräfte sahen sich veranlasst, in die NSDAP einzutreten. Die Schüler mussten die Woche mit Morgenappellen und Flaggenhissungen beginnen, die Rundfunkansprachen der Nazigrößen gemeinsam in der Aula entgegennehmen, Nazifilme kollektiv besuchen.

Mit dem Kriegsausbruch im Jahre 1939 wurden fast 50 % der Lehrer eingezogen. Luftschutzalarme unterbrachen den Unterricht. Beim Luftangriff am 27. Februar 1945 wurde die Zerstörung des Schulgebäudes nur durch den Hausmeister und die Schülerwachen verhindert, die mehrere Brände im Schulgrundstück löschen konnten. Dem Angriff fiel allerdings der hofseitige große Anbau des Gebäudes (Löhrstraße 7) zum Opfer, der zum Schulkomplex gehörte.

Im Herbst 1944 wurden die unteren Klassen in Schullandheime verlagert, wo sie eingeschränkt unterrichtet wurden. In Leipzig kam der reduzierte Schulbetrieb (die Schüler wurden zur Arbeit in kriegswichtigen Betrieben eingesetzt) erst mit dem Annähern der amerikanischen Truppen endgültig zum Erliegen.

Unmittelbar nach Kriegsende wurde Studienrat Arthur Mende mit der kommissarischen Leitung der Schule beauftragt. Nach Räumung des inzwischen als Durchgangslager für Kriegsflüchtlinge benutzten Schulgebäudes erfolgte am 1. Oktober 1945 die Wiederaufnahme des Schul-betriebes. Als neuer Oberstudiendirektor wurde Albert Först vorgestellt, der die Schule allerdings schon nach sechs Monaten wieder verließ. Nunmehr wurde der seit 1920 ständig an der ÖHLA tätige Arthur Mende Oberstudiendirektor. Unter seiner Leitung kam es in den folgenden Jahren noch einmal zu einer Art Aufschwung, zu einem ideenreichen und intensiven Schulleben.

Zunächst gab es allerdings gravierende Veränderungen. 15 Lehrer der Wirtschaftsoberschule, die Mitglieder der NSDAP oder deren Gliederungen waren, wurden entlassen. Neue Lehrer wurden eingestellt, zum Beispiel von der nun eingegliederten Annenschule, einer höheren Handelsschule für Mädchen. Die nunmehrige Wirtschaftskammer als Nachfolgerin der Industrie- und Handelskammer gab die Schule zum 1. Februar 1946 ab. 1946 wurde durch die Ausgliederung der Lehrlingsabteilung jenes Glied aus der Schulstruktur herausgebrochen, das die Besonderheit und Einmaligkeit der alten ÖHLA ausmachte: die Verknüpfung der Ausbildung des Nachwuchses für die kaufmännischen Berufe mit der höheren Bildung der künftigen Leitungspersönlichkeiten der Wirtschaft.

Ab 1. September 1946 wurde die Schule in eine Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung umgewandelt und damit in das neue System der Einheitsschule eingegliedert. Sie erhielt den Namen „Ferdinand-Lassalle-Schule – Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung (mit Wirtschaftsschule)“. Der Namensgeber, der 1840/41 zwar ein kurzes einjähriges Gastspiel an der ÖHLA gegeben hatte, wurde später in der DDR als „kleinbürgerlicher, sektiererischer Arbeiteragitator“ eingeschätzt, weshalb diese Ehrung wohl eher ein Versehen war. Die nach Kriegsende vorhandenen Schüler der Höheren Abteilung (Wirtschaftsoberschule) durften nach einem Kompromiss mit den zuständigen Behörden ihre Ausbildung weitgehend nach den alten Lehrplänen mit dem Abitur abschließen. In einem halbjährigen Kurs für zurückgekehrte Kriegsteilnehmer konnten diese 1945/46 ihr Notabitur in ein ordentliches Abitur umwandeln.

Lehrer und Schüler gingen mit großem Elan an die Arbeit. Die fachliche Ausbildung verlief in gewohnt hoher Qualität. Es war immer noch viel vom alten ÖHLA-Geist zu verspüren, der von den Absolventen dieser Schule immer wieder gerühmt wurde. Die kulturellen Traditionen wurden verstärkt weitergepflegt, besonders vom sehr aktiven „Dramatischen Zirkel“, der selbst Stücke von Goethe und Schiller auf die Bühne brachte.

Die Schülerschaft entwickelte Formen des demokratischen Umgangs miteinander. Der aus Vertretern aller Klassen bestehende Schülerrat wurde gegründet und beschäftigte sich mit vielen Problemen besonders des praktischen Lehrbetriebes. Als Sprachrohr der Schülerschaft erschien von 1946 bis 1949 die Schülerzeitung „Schulspiegel". Eine Glosse über die Eröffnung der freien Staatsläden und über Schwarzmarktpreise führte ab 1. September 1949 zum Verbot. Einige Lehrer arbeiteten beratend eng mit dem „Dramatischen Zirkel“, dem Schülerrat und dem „Schulspiegel“ zusammen.

Für den neuen zweijährigen Schultyp der Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung arbeitete Mende einen modernen Lehrplan aus, der auch die weitere enge Zusammenarbeit mit der Handelshochschule vorsah. In der Leipziger Presse erschienen Werbeanzeigen. Während sich die Schüler in den Ferien auf ihr Studium in der neuen Studienform vorbereiteten, wurde im Juli 1950 die sofortige Auflösung der Schule beschlossen. Elternproteste an höchster Stelle blieben erfolglos. In einem Protokoll über eine Beratung des Rates der Stadt Leipzig mit der Landesregierung Sachsen hieß es, die Fachschulen für Wirtschaft und Verwaltung würden geschlossen, „da sie den Forderungen der heutigen Zeit nicht Rechnung tragen“.

Das Schulgebäude und die Sammlungen der Schule wurden der inzwischen im Schulgebäude mit angesiedelten Volkshochschule überlassen.

Alles andere wurde „entsorgt“, leider auch die umfangreiche Bibliothek und das bis 1831 zurückreichende Archiv der Öffentlichen Handelslehranstalt - eine unersetzliche Dokumentation und Geschichtsquelle.

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