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Gründung und erste fruchtbare Jahre der Öffentlichen Handelslehranstalt zu Leipzig

Die lange Friedensperiode in Deutschland nach den Befreiungskriegen 1813/14 wirkte beschleunigend auf die wirtschaftliche Entwicklung. Der Aufschwung des Handels und die entstehenden Keime der Industrie erforderten die Ausbildung von Fachleuten für diese Bereiche und daher entsprechende Veränderungen im Bildungswesen.

In diesem Entwicklungsprozess kam der alten Messestadt Leipzig eine Pionierrolle zu. Die sich an den Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Praxis ausrichtende progressive geistige Haltung zeichnete Leipzig auch in der Folgezeit aus.

Die Initiative zur Veränderung der Ausbildung des kaufmännischen Nachwuchses ergriff die Leipziger Kramerinnung. Am 17. Februar 1829 bekannten sich die Kramermeister einstimmig zur Errichtung einer Handelslehranstalt, die sie aus dem Einkommen und Vermögen der Innung unterhalten wollten. Treibende Kraft war vor allem der Kramermeister und Bankier Carl Leberecht Hammer (1792-1833). Nachdem die beiden Gesuche an den sächsischen König und an den Rat der Stadt positiv beschieden waren, wurden die Statuten der „Öffentlichen Handelslehranstalt zu Leipzig“ (ÖHLA) ausgearbeitet. Der Zusatz „öffentlich“ sollte darauf verweisen, dass es sich nicht um ein privates, auf Erwerb gerichtetes Unternehmen handelt.

Die Leipziger Kaufmannschaft bewies hohes Verantwortungsbewusstsein und Großzügigkeit, als sie die Ausbildung des eigenen qualifizierten Nachwuchses selbst in die Hand nahm. Die ÖHLA war in ihrer Organisationsform im In- und Ausland etwas völlig Neues. Grundprinzip war die Einheit von Theorie und Praxis. Neben einer Lehrlingsabteilung wurde eine Höhere Abteilung eingerichtet. In beiden wurden Persönlichkeiten für den kaufmännischen Beruf wissenschaftlich so vorbereitet, dass sie in einem Betrieb qualifizierte Arbeit verrichten als auch Leitungspositionen in der Wirtschaft oder dem Staatsdienst übernehmen konnten. Diese Doppelgleisigkeit wurde bis zum Ende der ÖHLA beibehalten.

Mit der Berufung von Prof. David August Schiebe zum Direktor schlug am 23. Januar 1831 die Geburtsstunde der ÖHLA. Im Kramer-Haus wurde sie unter Teilnahme der staatlichen und städtischen Prominenz und vieler auswärtiger Gäste feierlich eröffnet. Die Festrede hielt Kramermeister Hammer. Der Unterricht fand im ersten Jahr im Haus des Kammerrates und Ritters Ploß in der Grimmaischen Straße 593 (jetzt Grundstück Nr. 13, Nordseite zwischen Reichs- und Nikolaistraße) statt. Die Aufsicht über die Schule oblag dem Vorstand, dem Kramermeister, Handlungsdeputierte und der Direktor angehörten. Schiebe (nach dem die Stadt Leipzig 1905 eine Straße benannte) folgten als Direktoren 1850 Dr. Alexander Steinhaus und 1863 Prof. Dr. Carl Gustav Odermann. Mit der Gründung eines Pensionsfonds für die Lehrer setzte die Lehrerschaft der ÖHLA 1852 - lange vor der Sozialgesetzgebung Bismarcks - eine progressive Neuerung durch. Die Pensionskasse wurde später auch von der Handelskammer übernommen.

Unter dem Direktorat Prof. Dr. Carl Wolfrums ab 1878 setzte sich die erfolgreiche Entwicklung der ÖHLA fort und konnte 1881 das 50-jährige Bestehen der Schule gemeinsam mit dem 400-jährigen Bestehen der Kramerinnung gefeiert werden. In den 50 Jahren gab es mit kleineren Schwankungen eine stetige Zunahme der Schülerzahlen. An der Schule studierten auch angestellte Kaufleute aus 19 anderen europäischen Ländern, aus Australien, Nordamerika, Asien und Afrika.

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vollzogen sich in der Volkswirtschaft wesentliche quantitative und qualitative Veränderungen. Die immer stärkere Industrialisierung bewirkte bedeutende Strukturveränderungen innerhalb der und zwischen den Wirtschaftszweigen. Die alten Organisationsformen der Wirtschaft, die Innungen, entsprachen nicht mehr dem neuen Stand und Entwicklungsniveau der Produktivkräfte. Die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und des technischen Fortschritts erforderten neue Formen. Das Gewerbegesetz von 1861 hatte als Vorboten schon die Handels- und Gewerbekammern entstehen lassen, die neben den Innungen arbeiteten. Nunmehr ging das Alte im Neuen auf. Die Leipziger Kramerinnung bestand bis 1887, auch als Träger der ÖHLA. 1888 übernahm die Handelskammer das Vermögen der Kramerinnung mit der Verpflichtung, die Handelslehranstalt weiterzuführen. Der reibungslose Übergang der ÖHLA von der Kramerinnung zur Handelskammer zeugt wiederum von der Weitsicht und Großzügigkeit der Leipziger Kaufmannschaft, die sich notwendigen Veränderungen stellte und diese verhältnismäßig rasch realisierte. Zuständig für die ÖHLA waren nunmehr das Ministerium des Inneren (später das Wirtschaftsministerium) der sächsischen Regierung als Oberaufsichtsbehörde, der Rat der Stadt Leipzig als Aufsichtsbehörde und die Handelskammer als Leitung der Schule.


Diverse Quellen zur bzw. über die ÖHLA

Das Königlich sächsische Gewerbegesetz von 1861


Die öffentliche Handels-Lehranstalt zu Leipzig.
In:
Literarische Blätter der Börsen-Halle
hrsg. von Gerhard von Hostrup
Achter Jahrgang. – Januar, Februar, März.
Hamburg 1832.
S. 203 – 204

Die neue Handels-Lehranstalt zu Leipzig
von Karl Heinrich Ludwig Pölitz
aus:
Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst
April 1831

Bericht über die Öffentliche Handelslehranstalt zu Leipzig
Prof. Dr. Carl Wolfrum
Ostern 1878 - Ostern 1897

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